Ich könnte sagen, ich habe mir meine Sprache selbst beigebracht. Und beigebracht meint hier, ich habe sie entlehnt. Ich habe sie gestohlen. Aus Büchern und Reden, aus dem Fernsehen und aus Versen. In meinen ersten Hausarbeiten verwende ich viele Fremdwörter. Ich dekoriere meine Texte mit Ihnen wie das All-You-Can-Eat-Buffet in der Kneipe meiner Mutter.
An den Wochenenden kann ich so nicht reden, sonst werde ich nicht ernst genommen. Der Ton kommt auf rauher, als er es ist. Nach 23 Uhr werde ich gebeten, die Namen aller Päpste aufzusagen. Schließlich studiere ich Geschichte.
Check Your Habitus
Woher wir kommen und wohin wir gehen, hängt zu oft vom Geld und der Bildung unserer Elterngeneration ab. Die Grenzen zwischen den Klassen, den Milieus sind nicht fließend, auch wenn uns das suggeriert wird. Das Überleben der Klasse hängt davon ab, dass sie sich gegen Eindringlinge verteidigt. Wer die Grenzen überwinden will, bleibt ein Leben lang zwischen den Welten gefangen.
2021 haben 18 Autor_innen an 21 Tagen in einem digitalen Literaturprojekt »ihre verhaltenseigenen Muster überprüft und ihre Leser_innen dazu eingeladen, dasselbe zu tun«. Das Projekt »Check Your Habitus« macht sichtbar, was Menschen erleben, wenn sie das eigene Herkunftsmilieu verlassen.
Begleitend zum Online-Projekt haben Daniela Dröscher und Paula Fürstenberg ein Heft bei SUKULTUR herausgegeben, in dem die deutschsprachigen Originalbeiträge von checkyourhabitus.de erschienen sind.
Die Texte auf ceckyourhabitus.de haben mich dazu inspiriert, meinen Werdegang zu überprüfen, meine Sprache zu hinterfragen. Ich war privilegiert und die Überwindung der Grenzen meiner Klasse ist mir gelungen. Seither bin ich auf der Suche nach meiner eigenen Sprache, nach einer Identität und einem Ursprung, der zu meinem jetzigen Leben passt. Jedes Mal, wenn ich in meine Vergangenheit zurückkehre, ist es, als würde ich ein fremdes Land besuchen. Die Menschen schauen ich an, als würden sie mich kennen. Dann realisieren sie, dass ich nicht mehr zu ihnen gehöre.