An diesem Sonntag möchte ich Euch wieder ein Gedicht vorstellen. Die Erinnerung an Menschen, die Opfer von Rassismus wurden, lässt mich nicht los. Und so widme ich diesen #poetrysunday der Poetin, Arbeiterin und politischen Aktivistin Semra Ertan.
Der ganze Körper wie ein Flamme,
Wo sind die vergangenen Jahre?
Ich habe gestern begonnen zu leben […]
Aus „Begegnung“ von Semra Ertan
Semra Ertan wurde 1957 in Mersin, Türkei, geboren. 1971 folgte sie ihren Eltern nach Kiel, die als Arbeitsmigrant*innen nach Deutschland gekommen waren.
Zeit ihres Lebens setzte sich Semra Ertan gegen Rassismus und Ausgrenzung und für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein. Sie unterstützte unentgeltlich Nichtdeutschsprachige bei Behördengängen, demonstrierte gegen die NPD-Tarnorganisation „Hamburger Liste für Ausländerstopp“. Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung, die sie tagtäglich erlebte, bedrückten sie so sehr, dass sie körperlich und seelisch litt.
Ihr Kampf
Semra Ertans Kampf war vielseitig und er war kraftvoll. Mit ihrer Wut, ihrer Enttäuschung, ihrer Liebe formte sie Worte, die 2020, 38 Jahre nach ihrem Tod, in einem Gedichtband veröffentlicht wurde. Darin habe ich das Gedicht „Begegnung“ gefunden.
Am 24. Mai 1982 verbrannte sich Semra Ertan aus Protest gegen den zunehmenden Rassismus in Deutschland. Sie starb zwei Tage später an den Folgen.
Mein Land hat uns nach Deutschland verkauft,
Wie Stiefkinder,
Wie unbrauchbare Menschen.
Aus „Mein Name ist Ausländer“ von Semra Ertan
Die Lebenswelt und die Widerständigkeit von Arbeitsmigrant*innen findet nur selten Eingang in das Narrativ über sogenannte „Gastarbeiter“ in der Bundesrepublik Deutschland. Semra Ertans Gedichte geben einen einzigartigen Einblick in diese Welt, die Teil unserer kollektiven Erinnerung werden muss.
Es ist an uns, ihre Worte zu erhalten, sie zu sprechen und so die Wünsche und Sehnsüchte einer Poetin zu verwirklichen, die uns den Spiegel unserer Seele vorhält.
In Erinnerung an Semra Ertan
2018 wurde die Semra Ertan Initiative gegründet. Sie erinnert an die Poetin, Arbeiterin und Aktivistin, die ihr Leben für eine bessere Zukunft opferte.
Der zweisprachige Gedichtband „Mein Name ist Ausländer“ erschien 2020 bei Edition Assemblage.